Qigong bei Migräne – ein Interview mit unserem Chefarzt

Zu den auch bei uns verbreiteten Methoden aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) zählt Qigong. Im Interview erklärt Dr. Christian Schmincke, Chefarzt wie die Methode funktioniert, worauf es bei den meditativen Bewegungen ankommt und warum es bei Kopfschmerzen hilft. 

Dr. Schmincke, was ist Qigong?

Dr. Schmincke: Es handelt sich dabei um eine Therapieform aus der Traditionellen Chinesischen Medizin. Dabei arbeitet man mit langsamen, fließenden Bewegungen am Qi. Das Qi kann man als „Energie des Körpers“ übersetzen. Inbegriff einer guten Vitalität in der chinesischen Medizin ist, dass Qi und Xue, als „Blut“ oder „Säfte“ übersetzt, gleichmäßig durch den Körper fließen und sich nicht stauen. Mit Qigong kann man einen Stau lösen und das Qi wieder in Bewegung bringen.

Wie sehen die Übungen aus?

Dr. Schmincke: Sie liegen – wie auch die Bewegungen des Tai-Chi – zwischen Gymnastik, Meditation und Pantomime. Während es sich bei Tai-Chi um festgelegte Abfolgen von Bewegungen (Sequenzen) handelt, die 20 Minuten und länger dauern können, arbeitet Qigong mit einzelnen, kurzen Übungen. Was schwierig für viele Menschen ist: Man muss dabei die willentliche Kontrolle über die Bewegungen ausschalten, sie sollen von selbst ablaufen. Deswegen haben sie bildliche Namen, etwa „Der Kranich, der die Flügel ausbreitet“ oder „Bogenschießen“. Es ist hilfreich, sich in die Bilder hineinzuversetzen. Dies lenkt die Aufmerksamkeit nach außen, weg von sich selbst, damit man während des Übens nicht nur um sich selbst kreist. Das ist der größte Fehler, den viele machen.

Und dabei entspannt man sich?

Dr. Schmincke: Die Bewegungen sind so langsam, dass sich die Muskeln lösen und das Qi überall hinkommt. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Entspannung alleine genügt nicht, sondern die Spannung muss insgesamt stimmen: Die Muskeln sollen einen schönen mittleren Tonus entwickeln. Der Mensch muss reagieren können, ohne sich zu verkrampfen.

Was passiert noch im Körper?

Dr. Schmincke: Unser Organismus wird von zwei Systemen gesteuert: dem animalischen System, das Muskulatur und Sinnesorgane umfasst, sowie dem vegetativen, den unbewusst ablaufenden Körperprozessen. Qigong harmonisiert beide. Ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Übungen immer den Speichelfluss anregen und der Magen anfängt zu arbeiten. 

Welche Wirkung hat Qigong bei Migräne?

Dr. Schmincke: Wenn Sie die Übungen regelmäßig machen, trainieren Sie Reaktionsweisen, die Sie davor bewahren, sich zu verkrampfen und nicht richtig zu atmen. Der Mensch wird durch Qigong gelassener, wehrhafter, er kann besser mit Stress umgehen. Das verhindert, dass Migräne sich aufbaut. 

Helfen die Übungen auch im akuten Anfall?

Dr. Schmincke: Ja, das habe ich selbst erfahren, denn ich litt jahrelang unter Migräne. Im Anfall ist vielen übel, oft auch eiskalt, sie wollen von der Welt nichts mehr wissen. Das Fließen des Qi stockt. Sich in diesem Zustand aufzuraffen und Qigong-Übungen zu machen, ist sehr heilsam. Dazu ist es hilfreich, dass die Bewegungen gut geübt sind. Dann kann der Körper die eingelernten Muster abrufen, er erinnert sich daran. Das Qi beginnt manchmal schon beim Gedanken an die Übungen zu fließen, die Atmung vertieft sich. Die Motorik von Magen und Darm reguliert sich, die Übelkeit wird besser. Das Kreislaufsystem kommt wieder ins Lot. Der Blutdruck, der während der Attacke bei manchen steigt, bei anderen zu niedrig ist, normalisiert sich. Die Wärme verteilt sich besser im Körper, das Kältegefühl lässt nach.

Wie oft sollte man Qigong machen?

Dr. Schmincke: Ideal ist es, wenn Sie jeden Morgen üben. Hier in der Klinik machen wir jeden Morgen eine halbe Stunde lang die „Acht Brokate“, die bekanntesten Übungen. Viele nehmen das Wissen mit nach Hause und üben dort weiter. Die Bewegungen sind gut zu Hause machbar. Nur Menschen, die Haltungsfehler oder Rückenprobleme haben, sollten mit einem guten Lehrer arbeiten.


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